Wem gehört der 1. Mai? Die Geschichte eines Tages der Bewegung

Wir freuen uns, seit wir auf der Welt sind, über den 1. Mai.  Warum? Weil wir freihaben, von der Schule, von der Arbeit.

Alle natürlich nicht, im Verkehrswesen, dem Tourismus, der Gesundheit, der Infrastruktur arbeiten zahllose Menschen weltweit an diesem Feiertag, aber das ist nicht das Thema, oder doch?

Dem Tag schwingt Bedeutung mit, jeder hat wohl sein 1. Mai-Erlebnis oder eine Erinnerung daran: Obwohl mein Vater kein Sozialdemokrat ist, waren wir sowohl am Volksstimme-Fest auf der Jesuitenwiese wegen der Grillhendln und sicher einmal auch am Maiaufmarsch, denn ein Bild hat sich bei mir als Kindergartenkind so um 1966 eingegraben: Das eines „Klappradels“, das auf der Parade mitfuhr und dessen Speichen mit Bändern in Rot und weiß geschmückt waren. Das war für mich damals so richtig sensationell.

1.Mai? Ab in den Prater!
Später bedeutet der 1. Mai für mich das Maifest im Wiener Prater, eingegraben hat sich bei mir das Bild des Kurt Hauenstein, besser “Supermax”, der unter allen sportlichen Menschen auf der Hauptallee in Stiefeln weg vom Gelände der Rockhaus- oder Planet-Music-Bühne geht, bedächtig und wohl mit ein, zwei, drei „Ehren-Jackie-Colas“, die er beim Chef „Muff“ Sopper immer „gut“ hatte. Mit einem Wort, ich bin ein Freizeit-Profiteur des 1. Mai, nicht ein emotionaler Gläubiger.

Für viele Menschen – und vor allem auch für die Arbeiter im Blauzeug – ist dieser Tag sicher einer, den man emotional spürt, ich hoffe es zumindest.

Als Arbeiter für Wienerberger vielleicht, die Geschichte der „Ziaglbehm“ im 19. Jahrhundert ist durch Viktor Adler tief verwoben mit der Gründung der sozialistischen Partei Österreichs. Oder zum Beispiel als Stahlarbeiter.


Victor Adler (letzte Reihe, 4. von links, neben Otto Glöckel und Leo Trotzki) als Delegierter am Kongress der Sozialistischen Internationale, Kopenhagen, September 1910. Im Vordergrund Emma Adler und Adelheid Popp (3. und 4. von rechts). (Foto: VGA)

Zwischen Arbeitsrechten und Linksavantgarde
Gerade telefoniere ich mit Freund Martin, Professor, Intellektueller und Leobner. Er verbringt den 1. Mai auf einer gastlichen Hütte in der Obersteiermark mit Blick auf das Voest-Alpine-Werk Donawitz. Auf meine lästerliche Anmerkung, das wäre Solidaritätsdekadenz, kann er mit einem Hochofen-Ferialpraktikum kontern („Vuan haß – hinten koit“). Ok – gilt, Hauptsache man ist mit dem Herzen dabei und kann es genießen.

Die Geschichte des 1. Mai ist eine amerikanische „Erfindung“, ich wusste es nicht, Wikipedia erklärt es:
Anfang 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik am 1. Mai auf – in Anlehnung an die Massendemonstration am 1. Mai 1856 in Australien, welche ebenfalls den Achtstundentag forderte. Also war der „Ur 1. Mai“ auch schon ein inszeniertes Zitat auf ein Ereignis. Es kam darauf zu Massenstreiks und Demonstrationen in den Industrieregionen.

Am Samstag, dem 1. Mai 1886, demonstrierten Tausende Arbeiter, die in den Streik traten und an Kundgebungen teilnahmen, die überall in den Vereinigten Staaten stattfanden. Am Abend des 3. Mai 1886 hielt August Spies, der Chefredakteur und Herausgeber der Arbeiter-Zeitung, auf einer Arbeiterversammlung auf dem Haymarket in Chicago eine Rede. 

Auch wieder Etwas gelernt: Die Arbeiter Zeitung ist vom Ursprung keine österreichische Print-Legende.

Von posthumer Begnadigung hat man nichts
Damals sind die Auseinandersetzungen handfest und ohne Kompromisse: Acht „Anarchisten“, die die Kundgebung organisiert hatten, wurden festgenommen und der Verschwörung angeklagt. Vier von ihnen, darunter August Spies, wurden durch den Strang hingerichtet, einer beging in seiner Zelle Suizid. Die noch lebenden drei wurden sechs Jahre später begnadigt.

Später wurde dieses Urteil als willkürlich aufgehoben, die Hingerichteten hatten mit dem Bombenwurf auf der Demonstration nichts zu tun.

In Österreich finden Kundgebungen zum 1. Mai seit 1890 statt
Die Wiener Arbeiterschaft veranstaltete z. B. am 1. Mai 1890 im Prater die mit mehr als 100.000 Teilnehmern größte Kundgebung, die bis dahin jemals in der Stadt zu sehen gewesen war. Die 1889 gegründete Arbeiter-Zeitung nahm darauf Bezug, dass die Maifeier im Prater, einem großen Grünareal, stattfand, und schrieb dazu im Mai 1890:

„Er ist sehr schön, der 1. Mai, und die Tausende von Bourgeois und Kleinbürgern werden es den Hunderttausenden von Proletariern gewiss gerne vergönnen, sich auch einmal das berühmte Erwachen der Natur, das alle Dichter preisen und wovon der Fabrikszwängling so wenig bemerkt, in der Nähe zu besehen.“

VIKTOR ADLER

Bis 1918 fanden die sozialdemokratischen Maikundgebungen nun jährlich im Prater statt; in der Ersten Republik wurden sie an die Wiener Ringstraße verlegt, wo man vor dem Rathaus des seit 1919 sozialdemokratisch regierten Wien aufmarschierte.

Der Tag der Arbeit wird als als Labour Day in den USA im September gefeiert
In Kanada findet er am 15. April statt, es werden immer Anlasstage großer Arbeiter*innendemonstrationen als Datumsgeber gewählt. Der 1. Mai wird weltweit über alle Kontinente gefeiert und ist in gut 100 Ländern ein gesetzlicher Feiertag.

Maiaufmarsch Magdeburg 1911, Deutsches historisches Museum

Der 1. Mai verliert an Teilnehmer*innen, nicht an Wirkung
Die Maiaufmärsche der Wiener SPÖ sind heute sicher nicht mehr mit den Massentreffen der 70er-Jahre unter Bruno Kreisky zu vergleichen, ich erinnere mich an den Gemeindebau meiner Kindheit, wo jedes zweite Fenster mit der Fahne mit dem dreipfeiligen Kreis der Sozialdemokratie geschmückt war.

Gut erinnern wir uns alle an den 1. Mai 2016, als der damalige Bundeskanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann am Wiener Rathausplatz faktisch aus dem Amt “gebuht” wurde.

Mitte, grüne und rechte Parteien sind am 1. Mai Zaungäste, die KPÖ erwacht zum Tag der Arbeit
Besonders gespannt kann man sein, was die KPÖ Plus mit fast 12 % in Salzburg, nach dem Überraschungserfolg an Zulauf bei ihren Feierlichkeiten hat. Zur Erinnerung: Seit bald zwei Jahren hat Graz mit Elke Kahr eine kommunistische Bürgermeisterin.

Die Mitte und Mitte rechts oder grünen Parteien haben traditionell am 1. Mai PR-technisch kein „Leiberl“, obwohl sie heute nicht weniger „klassische Arbeiter“ auf ihren Stimmzetteln erfassen, es fehlt ihnen schlicht am geschichtlichen Bezug.

Pexels-Bild Yuri Kim

Wir gehen es parteifrei an:
Ich denk, mir geht es wie vielen Leser*innen des Forerunners Network: Ich habe zum ersten Mai keinen emotionalen Bezug, zur Arbeit aber schon. Ebenso bin ich mir bewusst, dass ich in Österreich in einem Schlaraffenland lebe, wo Arbeitsplätze da sind (gerade auch im Überangebot zu Arbeitnehmer*innen) und wo man auch einige oder längere Zeit ohne Arbeit zu haben, leben kann.

Es gibt immer flexiblere Modelle, eine hervorragende staatliche Grundversorgung und das „Neue Arbeiten“ erlaubt Visionen zur Arbeit der Zukunft, bei der eine 4tage-Woche als nächster Meilenstein vor der Türe steht.

Also denke ich an fiktive Personen:
Esha R. Bangladesh, Textilarbeiterin:
Du bist eine von 3,2 Millionen Frauen in der Textilindustrie Deiner Heimat. Es ist 10 Jahre nach der Katastrophe von Rana Plaza. Als im Dezember 2016 in der Textilregion Ashulia in Bangladesch Tausende Arbeiter*innen für einen höheren Mindestlohn streikten, schlugen Fabrikbesitzer und Regierung unbarmherzig zurück, um die Arbeiter*innen und Gewerkschaften einzuschüchtern. 600 Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen wurden angeklagt, 1600 wurden gefeuert, 26 wurden inhaftiert. Anfang des Jahres 2019 kam es zu ähnlichen Repressalien bei Streiks für höhere Löhne. (Quelle https://femnet.de)

By Fahad Faisal Creative Commons

Aabid S. Linz, Lieferando-Fahrer
Du nervst die Autofahrer in ihren neuen E-Mobilen, die dich in der engen Rohrbacherstraße überholen müssen, auch am 1. Mai fährst Du aus. Hoffentlich kannst Du etwas zu Seite legen, um Geld zu Deinen Verwandten nach Aleppo zu schicken. Denn Dein Stockbett im 12-Personen-Quartier kostet dich schon 350 Euro pro Monat.

Boten in Sao Paulo, Roberto Parizotti, CreativeCommons

Verena S., Kaiserebersdorf, selbstständige Buchhalterin
Es ist der 1. Mai und Du machst die Buchhaltungsvorbereitung für Dein EPU. Seit Jahren verdienst Du als Selbständige kaum mehr, als die diskutierte Mindestsicherung hoch ist. Kein Wunder, Du musstest ja Mutter werden und später unbedingt Deine beeinträchtigte Mutter pflegen. Trotzdem hörst Du noch immer: Du, als Selbstständige, du musst aber Geld haben !

Ferdinand K., Buschauffeur der Wiener Linien
Deine älteren Kollegen habe es Dir erzählt: Vor 1999 sind die Wiener Linien am 1. Mai erst ab 13 Uhr gefahren. Der erste Zug jeder Garnitur war geschmückt. Jetzt sind wir fast 2 Millionen in der Stadt. Alle wollen bewegt werden.

Valerie H., Programmiererin & UX Designerin, Graz
Dein Start-up arbeitet an 4 Tagen die Woche, wenn du  „zu bist“ vom Bildschirm arbeiten, spielst Du eine Runde Tischtennis. Dir reichen zum Leben die 30 Stunden, für die Du dich verpflichtet hast, so kannst Du zusätzlich Italienisch lernen. Als Nächstes würdest Du gerne in Bologna oder Mailand arbeiten. Arbeit ist etwas Cooles!

Nazar Y., Energietechniker, Cherson
Du hast einen tollen Job nach Deiner Ausbildung, nur leider liegt das Kraftwerk, wo Du arbeitest, in Trümmern. Aber Du hast genug Arbeit, immerhin kannst Du Deinen Eltern helfen, ihr zerstörtes Haus wieder zu flicken.

Photo: Kharkivian (Serhii Petrov). From Wikimedia Commons.

Erna K., Landeskrankenhaus Bruck/Mur
Sie haben Dir gesagt, wenn Du einen neuen Kollegen findest, der ein Jahr bleibt, bekommst Du 1.500 Euro Prämie. Du hast gesagt: bei meinem Mann bei Magna zahlen sie 3.000 dafür, da halten wir nicht mit. Du hast gedacht: Zahlt uns in der Pflege besser, dann braucht ihr keine Prämien.

Die Arbeit ist so verschieden, wie die Menschen und die Länder selbst. Sie ist das „halbe Leben“ und beschäftigt uns doch durch das ganze. Es gibt bezahlte Arbeit und jede Menge unbezahlte Arbeit.

Die Arbeit wird uns noch in Jahrhunderten beschäftigen und sie wird nie enden.

Es wird vielleicht mehr Arbeit an uns selbst oder einer Gemeinschaft sein, als an einem Produkt oder einer Dienstleistung, viel dumme oder harte Arbeit wird die KI und werden Maschinen übernehmen.

Die Arbeit ist so wichtig, dass nicht nur der 1. Mai ein Tag ist, innezuhalten und über die Arbeit nachzudenken.

Christoph Mahdalik für Forerunners Network

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