Magisches Kintsugi – Upcycling wie die Meister:innen!

Alle Jahre wieder suggerieren uns 1001 Angebote aus den guten Stuben der Marketingprofis die Konsumbotschaft. Die japanische Kunst des Kintsugi – oder weniger fernöstlich – des Reparierens, hat dabei weitaus mehr Potenzial uns glücklich zu machen.

Von Julia Heuberger-Denkstein

Wie feine Adern durchziehen die Goldlinien die alte Teeschale. Sie folgen keinem besonderen Muster, sondern den unregelmäßigen Bruchstellen des Teegeschirrs, dem so ein neues Leben eingehaucht wird. Kintsugi ist die alte japanische Reparaturmethode für Keramik, bei der Teeschalen, Teekannen, Teller oder Vasen mit einem bestimmten Lack, dem Gold, Platin oder Silber beigemengt wird, wieder zusammengeklebt werden. „Zerbrochenes mit Gold reparieren“, lautet die wörtliche Übersetzung.

Mit der aufwändigen Technik verleihen die Kintsugi-Meister seit Jahrhunderten jedem Stück eine neue Einzigartigkeit und Schönheit. Die Philosophie besagt, dass die Risse und Narben nicht versteckt, sondern ein wesentlicher Teil der Geschichte des Objekts und als solche wertvoll sind. Mehr noch, gerade die Scherben und ihre vergoldeten Bruchstellen, um die man sich in liebevollster Kleinarbeit und viel Geduld über Wochen hinweg kümmert, machen das jeweilige Stück zu dem Besonderen und Unikat, das sie dann zweifellos sind.

In unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft ist das Kintsugi eine fast obszöne Herangehensweise.

Ist es doch heute weitaus repräsentativer und gesellschaftlich anerkannt, sich mit der immer neuesten Mode einzukleiden, stolz den Letztstand der Technik zu präsentieren oder zu zeigen, „dass ich mir alles kaufen kann, weil für mich Geld keine Rolle spielt“. Gerade vor Weihnachten, wenn wir wieder das halbe Internet durchsuchen, ganze Innenstädte durchwandern und viel (unnötiges) Geld liegen lassen, um Geschenke für unsere Liebsten zu ergattern, lohnt sich ein Blick auf die Alternativen zum Neukauf.

Clay Banks for Unsplash

Wieder in den früheren intakten, gebrauchsfähigen Zustand bringen,“ lautet die wörtliche Übersetzung von Reparieren.

Was so viel bedeutet, wie den Wert von Materialien, Arbeit und Energie, die in die Herstellung von Gegenständen geflossen sind, anzuerkennen, wieder herzustellen und das Leben des jeweiligen Objekts zu verlängern. Nicht nur im Japan des Kintsugi, auch in unserer westlichen Welt ist bzw. war die Bedeutung von „Reparieren“ immer schon wichtig und kann auf eine ebenso lange Historie verweisen, wie das Handwerk selbst. Seitdem es die Erzeugung von Gegenständen gibt, ist auch deren Reparatur mitgedacht worden.

Egal ob als Tischler, Kürschner, Harfner oder Schmied – schon immer war die Reparatur der eigenen Erzeugnisse, ebenso Teil des Handwerks wie deren Herstellung.

Ein Umstand, der nur in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten in Vergessenheit geraten ist. Bis in die 1980er Jahre war es selbstverständlich, den kaputten Staubsauger oder die alte Kaffeemaschine zuerst einmal zum Fachmann zu bringen, anstatt sie gleich weg zu werfen, weil sich eine Reparatur „nicht lohnt“. Ich erinnere mich, dass meine Mutter sogar noch unsere alten Socken gestopft und löchrige Hosen wieder zugenäht hat. Das Credo war: Alltagsgegenstände sollten so lange wie möglich genutzt werden können. Wie die hausfräulichen Fertigkeiten meiner Mutter, scheint auch das Wissen um das Reparieren defekter Gegenstände vom Aussterben bedroht zu sein.

Initiativen wie die Repair-Cafés, der Reparatur Bonus oder das Reparatur- und Service-Zentrum R.U.S.Z (das sogar Franchise-Nehmer sucht) wollen das wieder ändern.

Überall steht der alte Kintsugi-Gedanke im Fokus: Reparieren statt neu kaufen. Weil: Reparieren schont die Geldbörse, vermeidet Elektroschrott und schätzt die Ressourcen. In den Repair-Cafés etwa, wo sich Menschen ehrenamtlich treffen, um gemeinsam kaputt gegangene Elektrogeräte oder Kleidung zu reparieren, wird außerdem die Gemeinschaft gefördert und wertvolles Wissen um die Funktionsweise von Geräten und ihrer Handhabung weitergegeben. Damit macht Reparieren sogar schlau, ein Stück weit unabhängig und in vielen Fällen sogar glücklich!

Bild: Alexander Killer_ Stadt Salzburg

Kreislaufwirtschaft heißt das Schlagwort, das ganz aktuell im Rahmen verschiedener EU-Initiativen aufgegriffen wird. Der Digitale Produktpass etwa fordert, dass jedes Produkt in der EU „langlebig, reparierbar, wiederverwendbar und recyclingfähig“ sein muss. Bis 2030 sollen die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft, auch als die 10 „R“s bekannt (Refuse – Rethink – Reduce– Reuse – Repair – Refurbish – Remanufacture – Repurpose – Recycle – Recover) umgesetzt sein. Aus einem simplen Grund: Europa gehen die Rohstoffe aus. Gerade seit Corona ist die Abhängigkeit von Lieferländern, wo Rohstoffe abgebaut und oftmals soziale Mindest-Standards bei der Herstellung untergraben werden, schmerzlich in den Fokus gerückt. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wir in unseren weiter wachsenden Müllbergen zu ersticken drohen.

Bildquelle:Kreislaufwirtschaft Bau

Lohnt es sich also, dem tieferen Sinn von Kintsugi nachzuspüren?

Dem Alten, Zerbrochenen und Kaputten wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken? Und nicht mehr nur das Neue als vermeintlich „perfekt“ zu bewerten? Mit Sicherheit: Denn Teil der Kentsugi-Begeisterung ist auch die Erkenntnis, das Fehlerhafte und Unperfekte wertzuschätzen. Gerade der Makel, das Kaputte und Zerbrochene wird durch Kintsugi aufgewertet und sogar in den Vordergrund gestellt. So bekommt das ehemals Zerbrochene einen neuen Sinn, das Kaputte bekommt ein neues Leben und das Nicht-Perfekte wird in etwas Positives und Ansehnliches umgewandelt.

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