Klassik trifft auf Demenz! Konzerte für Menschen “mit Vergesslichkeit”
Sechsmal im Laufe der Konzertsaison lädt der Musikverein in den Brahms-Saal und geht dabei auf die Bedürfnisse von Menschen mit Vergesslichkeit ein. Unter dem Titel “Souvenir” wurde eine neue Konzertreihe ins Programm aufgenommen, die für Menschen mit Demenz entwickelt wurde. Musikvereins-Intendant Stephan Pauly ist damit ein echter Forerunner!
Bei dem einstündigen Konzert stellen sich alle AkteurInnen, die speziell geschult wurden, auf die Zuhörerschaft ein. So sind ProtagonistInnen vor, auf und hinter der Bühne von sonst im Konzertsaal ungewohnten Reaktionen nicht irritiert, sondern offen für authentische Reaktionen.
Diese Offenheit ermöglicht Menschen mit Demenz und deren Angehörigen oder Begleitung eine entspannte Atmosphäre.
Gemeinsam mit der geltenden Barriere- und Bewegungsfreiheit können die BesucherInnen spontan auf das Konzert und die Musik reagieren.
Sechsmal im Laufe der Konzertsaison, jeweils montags um 15.00 Uhr, lädt der Musikverein in den Brahms-Saal – zu einer Stunde mit bekannten Melodien, beschwingten Stücken und kurzweiliger Moderation.
“Es gibt viele Menschen, die von unserem Angebot ausgeschlossen sind”, reflektiert Musikvereins-Intendant Stephan Pauly. Das läge zum Teil an mangelndem Interesse für Klassik, finanziellen Hürden, aber eben auch an möglichen gesundheitlichen Hindernissen wie Demenz.
Diesem strukturellen Problem nimmt man sich nun seitens des Musikvereins an.
Offenheit und Erinnerung durch Emotion
Das neue Konzept wurde wesentlich von Veronika Mandl mitentwickelt, die auch als Moderatorin wirkt und Erfahrung in der Musikvermittlung und als Klinikclown hat:
“Was anders ist, ist die Offenheit, mit der wir hineingehen…“, meint sie und weist weiter darauf hin: „Wir werden variabel verschiedenste Stücke spielen“, …sei doch Musik immer verknüpft mit Emotionen und Erinnerungen, so Mandl.
Eingebunden in die Konzeption der neuen Konzertreihe war auch Andreas Trubel, Vertreter des Selbsthilfenetzwerks “Promenz”. Er regt dazu an, der Stigmatisierung auch schon durch eine neue Begrifflichkeit entgegenzuwirken.
Warum die Bezeichnung “Demenzkranke” in der Sprache des alltäglichen Lebens vermieden werden soll? „Diese Punzierung schreckt Menschen ab, wohingegen der Begriff “Menschen mit Vergesslichkeit” ein weiterer Schritt hin zur Barrierefreiheit ist.“
Musik für in Österreich rund 130.000 demenziell erkrankte Menschen
Die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen nimmt in Österreich laufend zu, nicht aber die Angebote für Betroffene oder pflegende Angehörige: Darauf reagierte die Caritas Wien gemeinsam mit der “Camerata Medica Wien” mit einem Benefizkonzert im Wiener Konzerthaus.
Das Kammerorchester mit Mitgliedern aus dem medizinisch-pharmazeutischen Bereich will so auf Zukunftsperspektiven im Umgang mit Demenzkranken und auf Musik als Form der Therapie aufmerksam machen: “Musik kann Betroffene dort erreichen, wo Sprache längst verschwunden ist”, geben uns Melisande Messner-Kolp, Ärztin und Obfrau der Camerata Musica, sowie Norbert Partl, Leiter der Caritas-Demenzinitiative, weiter.
Stigmatisiert, die Angst ist groß
Demenz sei gesellschaftlich stigmatisiert, kritisierte Messner-Kolp. Daher trauen sich Angehörige mit Betroffenen kaum zu Konzerten und weichen viel eher großen Menschenansammlungen aus. Das Konzert sei damit auch ein Schritt in Richtung einer Integration von Menschen mit Demenz. Musik kann eine Art “Brücke zu Erinnerungen” schaffen, so die Ärztin: “Wenn gemeinsames Essen oder Sprechen nicht mehr möglich ist, kann Musikhören eine Form von Kommunikation sein und Erinnerungen wecken.” So könnten manch Demenzerkrankte teils kaum noch sprechen, dafür aber singen oder musizieren.