Zwischen Realität und “EU common sense”: Österreichs Weg zur Energiestabilität ist komplex.
Als Nachhaltigkeitsplattform freuen wir uns über den Ausbau der „Erneuerbaren“, als Zahler von Energierechnungen fragen wir uns, wie wir für die Zukunft kalkulieren müssen. Die Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich, mit dem Präsidenten Dr. Christoph Leitl wirft Argumente in die Diskussion zur Energieunabhängigkeit, die unbequem sind. Als Marktplatz der Meinungen wollen wir Ihnen auch diese Standpunkte anbieten:
Wir beginnen mit einem Interview mit Otto Musilek , er war mehr als 30 Jahre bei der OMV im Gasbereich tätig, den er bis 2007 zehn Jahre leitete, und er war in nahezu allen Verhandlungen für die Gaslieferungen eingebunden. Kaum ein anderer Mensch in Österreich kennt den Energie-Markt generell und den globalen Gasmarkt speziell so genau wie Musilek. Dr. Werner Steinecker und Gottfried Kneifel, Geschäftsführer der Initiative Wirtschaftsstandort OÖ (IWS) haben mit ihm Kontakt aufgenommen und um eine Deutung der gegenwärtigen Gas-Versorgung Österreichs gebeten.
Wir werden weiterhin Gas aus Russland brauchen.
Frage IWS: Wie geht es weiter mit der Energieversorgung in Österreich? Die Europäische Union fordert, dass Österreich aus den Gas-Lieferverträgen, die OMV-Vorstand Rainer Seele mit einer Laufzeit bis 2040 mit Russland/Gazprom abgeschlossen hat, aussteigen soll. Diese Verträge müssen ja bezahlt werden – auch wenn Österreich diese Gasmengen nicht konsumiert.
MUSILEK: Eine einseitige Kündigung der Verträge durch Österreich würde von Gazprom unverzüglich bei internationalen Gerichten angefochten werden. Solche Verfahren können bis zu einer endgültigen Klärung der Rechtslage sehr lange dauern. Und ohne gerichtliche Klarstellung müsste Österreich an Russland weiterzahlen. Wir reden von mehr als 30 Milliarden Euro. Dieses Risiko einzugehen, rate ich der österreichischen Bundesregierung nicht! Von den Kosten für die Beschaffung von Ersatz-Gasmengen am Weltmarkt gar nicht zu reden.
Die Probleme von heute sind Vereinbarungen aufgrund früherer Marktsituationen
IWS/Laresser, Geschäftsführer Gottfried Kneifel
Frage IWS: Hat sich die OMV und haben Sie sich als OMV-Chefverhandler für den Gasbereich in den vergangenen Jahrzehnten um alternative und verlässliche Gas-Lieferanten ernsthaft bemüht?
MUSILEK: Aufmerksame Medienbeobachter wissen um die politischen Probleme beim Nabucco-Pipeline-Projekt. Die EU war nur halbherzig dabei und die USA wollten Nabucco, womit iranisches Gas über die Türkei nach Europa transportiert werden sollte, aus strategischen Gründen unterbinden. Auch bei der Versorgung mit LNG waren wir – damals wie im Projekt Nabucco – federführend aktiv und haben im Hafen Krk (Kroatien) das Terminal geplant, das übrigens seit 2021 – leider ohne österreichische Beteiligung – in Betrieb ist. Wir haben uns wirklich um Alternativen zum Russen-Gas bemüht. Aber für Lieferverträge braucht man Partner, die nicht nur liefern können, sondern es auch wollen.
Frage IWS: Warum hat die OMV nicht mit Norwegen verhandelt? Oder früher die Gasfelder im Schwarzen Meer zur Versorgung Österreichs aufbereitet?
MUSILEK: Wir haben 1986 mit Norwegen langfristige Lieferverträge abgeschlossen, die bis heute gelten. Das norwegische Gas war damals um rund 30 Prozent teurer als das russische Gas, deswegen wurde nur eine „bescheidene“ Menge kontrahiert. Die Vorkommen im Schwarzen Meer liegen in sehr großer Tiefe und die Gasförderung wäre zu Marktpreisen nicht rentabel gewesen. Auf der anderen Seite hat die Industrie wegen der Wettbewerbsfähigkeit auf günstige Gaslieferungen gedrängt. Oberösterreich ist ja als Industriebundesland Nummer 1 davon besonders betroffen.
Die EU braucht ein klares Konzept, das auf Realitäten fußt
Frage IWS: Derzeit bezieht Österreich rund 70 Prozent seines Gas-Bedarfes aus Russland. Und Russland liefert – trotz Sanktionen, trotz Ukraine Krieg, trotz der Warnungen der USA und der EU. Auch Ungarn, die Slowakei und Italien sind stark auf russische Gaslieferungen angewiesen. Gibt es dazu tragfähige Alternativen?
MUSILEK: Ich sehe aufgrund meiner jahrzehntelangen Erfahrung auf den internationalen Energie- und Gasmärkten keine tauglichen Alternativen zum Russen-Gas. Ein einseitiger Ausstieg würde zig-Milliarden Euro kosten und die Energieversorgung für Haushalte und Betriebe weiter verunsichern.
Frage IWS: kürzlich wurde von Regierungsseite vorgeschlagen, dass die Gashandelstochter der OMV aus dem Konzern ausgegliedert werden soll. Ist das ein taugliches Modell, mit dem Ziel, die Gas-Versorgung Österreichs auf Dauer zu stabilisieren?
MUSILEK:Davon halte ich überhaupt nichts. Erstens braucht so ein Organisationsprozess Zeit. Zweitens wird dann alles noch bürokratischer und drittens bleiben ja die Lieferquellen/Gasfirmen und die Netze gleich. Viertens bleibt auch die Wettbewerbssituation unverändert. Und wenn es die ausgegliederte Firma am Markt gibt, ist der Krieg in der Ukraine möglicherweise schon zu Ende. Also sehe ich in einer ausgegliederten Gashandelsfirma keinen Vorteil.
Frage IWS: Was sind ihre Experten-Empfehlungen an die Regierung?
MUSILEK: Mehr Sachlichkeit und Realismus – und weniger Ideologie. Endlich ein klares und eigenständiges Energiekonzept der Europäischen Union. Mehr Verlässlichkeit und weniger Verunsicherung. Ohne Russen-Gas wird Österreich auch langfristig nicht auskommen.
Keines der Ziele ist bis 2030 oder 2040 erreichbar. Die Experten und der Vorstand des IWS üben auch Kritik am nationalen Energie- und Klimaplan der Bundesregierung.
Zitat: Gottfried Kneifel, Geschäftsführer der Initiative Wirtschaftsstandort OÖ:
„Wir müssen uns sehr kritisch zum jüngst vorgelegten Entwurf des Nationalen Energie- und Klima-Planes melden, weil nach Prüfung unserer Experten keines der im NEKP vorgegebenen Ziele erreichbar sein wird,“ „Bei allen Bemühungen, den Klimawandel zu bekämpfen, dürfen dabei die physikalischen und logischen Gesetze nicht völlig außer Kraft und durch Ideologie und Wunschdenken ersetzt werden.“
DI Bruno Lindorfer, Energie-und Klimaexperte der Initiative Wirtschaftsstandort OÖ kritisiert, dass Umweltministerin Leonore Gewessler die ohnehin schon schwer erreichbaren Ziele der EU im Entwurf nochmals verschärft hat. Nach Lindorfers Meinung sind zumindest Teile von Gewesslers Klima-Zielen nicht sinnvoll, z. B. das Ziel „Bilanziell“ über ein Jahr 100 Prozent erneuerbaren Strom in Österreich.
Der mathematische Schluss Lindorfers:
100 Prozent erneuerbaren Strom in Österreich bis 2030 kann man, wenn man Photovoltaik (PV) massiv ausbaut – was theoretisch möglich wäre – nur „bilanziell“ erreichen. Bilanziell heißt summarisch über das ganze Jahr. Das bringe aber wenig: Denn mehr als 75 Prozent des PV-Stromes fallen in den Monaten März bis September an, von Oktober bis Februar ist der Ertrag des PV-Stromes aber weniger als 25 Prozent. Wenn wir in Österreich die Heizungen auf elektrische Wärmepumpen umstellen, wie BM Gewessler will, brauchen wir den Großteil des Stromes aber in den Monaten November bis Februar. Daher die Zielsetzung „100 Prozent aus erneuerbarem Strom bilanziell übers Jahr“ nicht sinnvoll, im Gegenteil, der massive Ausbau des PV-Stromes wird zu massiven Stromüberschüssen in den Sommermonaten führen, die nicht genutzt und nicht für den Winter gespeichert werden können.
Bild_Unsplash: Michal Pech
“Wenn wir PV massiv ausbauen, dann ertrinkt Österreich ab ca. 2028 im Sommer an PV-Strom – den wir im Sommer auch nicht exportieren können, denn im Sommer werden künftig alle Länder, die PV ausbauen, in Überschuss-Strom ertrinken!“, Zitat Bruno Lindorfer.
Derzeit importiert Österreich in den Monaten November bis Februar relativ viel Kohle- und Atomstrom aus dem Ausland (Deutschland, Tschechien, Polen etc.). Das wird 2030 höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich sein, denn alle EU-Länder müssen massiv aus Kohlestrom aussteigen und der Neubau von AKWs dauert ca. 15 Jahre – also frühestens 2023 + 15 = 2038! Laut Ansicht aller Energie-Experten wird der Stromverbrauch bei der Klima-Neutralität in allen EU-Ländern mit Klima-Neutralität um einen Faktor ca. 2.5 steigen, vor allem im Winter – elektrische Wärmepumpen, E-Autos, Umstellung der Stahlindustrie, der Zementindustrie und der chemischen Industrie auf Grünen Wasserstoff aus erneuerbarem Strom. Der Stromverbrauch Österreichs betrug 2022 ca. 74 TWh, das waren aber nur ca. 20 Prozent des gesamten Primär-Energieverbrauchs, der immer noch zu ca. 75 Prozent aus fossilen besteht (Anteile am österr. Primär-Energieverbrauch 2022: Öl ca. 40 Prozent, Erdgas ca. 28 Prozent, Kohle ca. 7 Prozent). Bei Erreichen der Klima-Neutralität (2040?) wird der Verbrauch an erneuerbarem Strom in Österreich ca. 180 TWh betragen (+/- 25 Prozent, je nach Entwicklung der Wirtschaftskonjunktur). Die VOEST alleine wird künftig für die Grüne Stahlherstellung mit Grünem Wasserstoff ca. 33 TWh erneuerbaren Strom brauchen, das ist schon sehr viel (ca. doppelt so viel, als wenn alle ca. fünf Millionen PKW in Österreich auf e‑Autos umgestellt wären)! Es besteht aufgrund der strengen CO2‑Regeln der EU die Gefahr, dass die sehr energie‑intensive Flüssigphase der Stahlerzeugung aus der EU in weniger umweltbewusste Nicht‑EU‑Länder verlagert wird. Der globalen Erwärmung würde das aber nichts helfen, denn die VOEST ist eines der saubersten Stahlwerke und der Stahl würde dann halt ab 2040 in dreckigeren Stahlwerken in China oder der Ukraine erzeugt. Bei der chemischen Industrie und der Zementindustrie ist das ähnlich.
Werner Steinecker, Mitglied Vorstand IWS, ehemaliger GD der Energie AG
Ende der Statements und Link zur Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich,
Forerunners Meinung:
Zahlen sprechen die Wahrheit, vor allem Strafzahlungen. Die wird sich Österreich nicht leisten können und wollen, denn 30 Mrd. für „kein Gas“ zu zahlen, wäre fahrlässig.
Uns ( und wahrscheinlich einen großen Teil Österreichs) stört, dass AKW´s im EU Mix eine Rolle spielen werden: Sie sind gefährlich, der Bau dauert ewig und der Output ist im Verhältnis schwach.
Die „Erneuerbaren“ gehören gefördert, auch mit harten Mitteln, sie sind die Zukunft, als Energieträger und Autarkiegarant.
Bild_Unsplash: Qinten de Graaf, Leitungsrohre Überland
Was wird für die kommenden Jahre die Aufgabe einer realen und leistbaren Versorgung sein: Einen Mix aus leistbaren „Fossilen“ und dem Einleiten neuer Techniken aus Wasser, PV ,Wind und hybriden Antriebsstoffen voran zu treiben: Energieträger, die langfristig günstig und idealer Weise aus eigener Produktion verfügbar sind.
Dabei dürfen „Elektro Energie“ ergänzende Gedanken an Wasserstoff und Co2 neutralen Treibstoffen für Land, Luft und Wasser nicht nur erlaubt sein, sondern sie müssen ein Bestandteil aller staatlichen Überlegungen und Förderungen sein.
Dabei spielen 5 Jahre keine Rolle, sondern der Umstand, wie wir die Versorgung für die nächsten 50 Jahre gescheiter aufstellen, als das für heute vor 50 Jahren passiert ist.
Jetzt den Newsletter abonnieren. Einmal im Monat, kein Spam sondern Nachhaltigkeit zum Lesen und Hören!